Urteil des Europäischen Gerichtshofes (Persönliche Schutzausrüstung)

Das Urteil

Am 22. Mai 2003 wurde entschieden dass die Bundesrepublik Deutschland gegen die Artikel 1 und 4 der Richtlinie 89/686/EWG (Persönliche Schutzausrüstungen) verstoßen hat.

Artikel 1:

  1. Diese Richtlinie findet Anwendung auf die persönlichen Schutzausrüstungen - nachstehend PSA genannt.

    Sie regelt sowohl die Bedingungen für das Inverkehrbringen und den freien Verkehr innerhalb der Gemeinschaft als auch die grundlegenden Sicherheitsanforderungen, die die PSA erfüllen müssen, um die Gesundheit der Benutzer zu schützen und deren Sicherheit zu gewährleisten.

  2. Für die Zwecke dieser Richtlinie gilt als PSA jede Vorrichtung oder jedes Mittel, das dazu bestimmt ist, von einer Person getragen oder gehalten zu werden, und das diese gegen ein oder mehrere Risiken schützen soll, die ihre Gesundheit sowie ihre Sicherheit gefährden können.

    Als PSA gelten ferner:

    1. eine aus mehreren vom Hersteller zusammengefügten Vorrichtungen oder Mitteln bestehende Einheit, die eine Person gegen ein oder mehrere gleichzeitig auftretende Risiken schützen soll;
    2. eine Schutzvorrichtung oder ein Schutzmittel, das mit einer nichtschützenden persönlichen Ausrüstung, die von einer Person zur Ausübung einer Tätigkeit getragen oder gehalten wird, trennbar oder untrennbar verbunden ist;
    3. austauschbare Bestandteile einer PSA, die für ihr einwandfreies Funktionieren unerlässlich sind und ausschließlich für diese PSA verwendet werden.
    4. ...
  3. Vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie sind ausgenommen:

    • die PSA, die unter eine andere Richtlinie fallen, die dieselben Ziele des Inverkehrbringens, des freien Verkehrs und der Sicherheit wie die vorliegende Richtlinie verfolgt;
    • unabhängig von dem Grund des Ausschlusses nach dem ersten Gedankenstrich die PSA-Arten, die in der Ausschlussliste in Anhang I aufgeführt sind.

Artikel 4:

Die Mitgliedstaaten dürfen das Inverkehrbringen von PSA oder Bestandteilen von PSA, die mit der vorliegenden Richtlinie in Einklang stehen und mit der CE-Kennzeichnung versehen sind, mit der ihre Konformität mit allen Bestimmungen dieser Richtlinie einschließlich der Bescheinigungsverfahren nach Kapitel II angezeigt wird, nicht verbieten, beschränken oder behindern.

Sachverhalt und Vorverfahren

Die Kommission wurde darauf aufmerksam gemacht, dass Rechtsvorschriften einzelner deutscher Bundesländer Anforderungen an Feuerwehrausrüstungen enthielten, die in der PSA-Richtlinie nicht enthalten seien. So müssten z. B. Sicherheitsgurte im Land Niedersachsen den Spezifikationen einer nationalen technischen Norm entsprechen. Im Land Nordrhein-Westfalen sei die Zertifizierung von Helmen durch eine in diesem Land ansässige Stelle vorgeschrieben.

Zur Klage

Die Kommission tritt der von der deutschen Regierung vertretenen rechtssystematischen Auslegung entgegen. Die Vorschriften der PSA-Richtlinie seien in erster Linie unter dem Blickwinkel des Binnenmarkts zu sehen, da es sich um eine Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten handele. Zur Erleichterung des freien Warenverkehrs regele diese Richtlinie die grundlegenden Anforderungen, die die PSA erfüllen müssten.

Das Urteil

  1. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 1 und 4 der Richtlinie 89/686/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für persönliche Schutzausrüstungen verstoßen, dass in den Vorschriften einzelner Bundesländer an persönliche Schutzausrüstungen für Feuerwehren, die den Anforderungen dieser Richtlinie entsprechen und mit der CE-Kennzeichnung versehen sind, zusätzliche Anforderungen gestellt werden.
  2. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.

Das vollständige Urteil kann als Rechtssache C-103/01 über das Suchformular des EuGH heruntergeladen werden.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

"Binnenmarkt contra Schutz der Feuerwehrleute", Kommentar von Ministerialrat Reiner Ott, HMdIuS

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg befasst sich in zahlreichen Urteilen mit wichtigen Fragen, die alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union betreffen. Er ist da oberste Gericht in der EU, also letzte richterliche Instanz in Europa. Der Gerichtshof gestaltet europäisches Recht und bewahrt es zugleich. Das muss man bedenken, wenn Urteile ergehen, die auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar erscheinen.

Casus delicti: Eine Zweidornschnalle

So kommt der EuGH auch zu wesentlichen Feststellungen, die das Feuerwehrwesen betreffen. Dies zeigt sich z. B. an der Frage, ob es dem Land Niedersachsen erlaubt war, einen Feuerwehrsicherheitsgurt mit Zweidornschnalle zu gestalten. Mit rechtskräftigem Urteil vom 22. Mai 2003 hat der EuGH in einem seit Jahren laufenden Verfahren entschieden dass die Bundesrepublik Deutschland gegen die Artikel 1 und 4 der Richtlinie 89/686/EWG (Persönliche Schutzausrüstungen) verstoßen hat (siehe oben). Die Kommission bemängelte, dass die Technische Weisung zusätzliche Anforderungen an PSA enthalte und verlangte, dass sich die Bundesregierung "EU-konform" verhalte und die Regelung aufhebe. Das Ziel des freien Verkehrs innerhalb der Gemeinschaft werde nämlich nur erreicht, wenn die Richtlinie verhindert, dass die Mitgliedsstaaten das Inverkehrbringen der entsprechenden Ausrüstungen verbieten, beschränken oder behindern.

Schutzkleidung nicht betroffen

Im Übrigen gibt das Urteil Anlass für den wichtigen Hinweis, dass es nicht auf die Schutzkleidung nach der Herstellungs- und Prüfungsbeschreibung für eine universelle Feuerwehrschutzkleidung (HuPF) zu übertragen ist. Die Schutzkleidung nach HuPF beruht nämlich auf Arbeitsschutzrichtlinien der EU, die auf der Grundlage des Artikels 137 EG-Vertrag erlassen sind und deren Ziel es ist, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zu verbessern. Im Gegensatz zu Binnenmarktrichtlinien, deren Ziel es ist, den europäischen Binnenmarkt durch Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten zu verwirklichen, enthalten die Arbeitsschutzrichtlinien Mindestnormen und lassen günstigere Vorschriften der Mitgliedsstaaten zu, die dem Schutz der Arbeitnehmer dienen. Dies hat das EuGH eindeutig festgestellt. Zu diesen für die Benutzer günstigeren Vorschriften gehört die HuPF, weil sie strengere Schutzanforderungen an die Kleidung ("universelle" Feuerwehrschutzkleidung) stellt. Um unzutreffenden Interpretationen vorzubeugen halte ich diese Klarstellung für geboten.

Fazit

Wie das Urteil zeigt, muss im Bereich der deutschen Gefahrenabwehrbehörden zukünftig der europarechtlichen Entwicklung (auch im Vorfeld der Beratungen auf EU-Ebene!) noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Es bleibt in diesem Zusammenhang der Wunsch, dass sich der EuGH nicht nur an seinen formalen (engen) Auslegungsgrundsätzen orientiert, sondern sich auch den wichtigen Aufgaben der Feuerwehren in den Mitgliedsstaaten stellt.

Quelle: Ministerialrat Reiner Ott, HMdIuS, "Binnenmarkt contra Schutz der Feuerwehrleute", Florian Hessen 7-8/2003, Seite 8 aund 9